Der nackte Wahnsinn
von Michael Frayn
Regie: Jacob Höhne
„Jeder macht so gut er kann.“
Vermutlich gibt es diesen magischen Moment, in dem Theater berührend ist. Von ihm handelt diese Inszenierung jedoch nicht. Stattdessen geht es um die Barrieren, die sich auf dem Weg zu einer irgendwie ästhetisch organisierten Premiere auftürmen. Und nein, damit sind eben nicht nur die klemmenden Sperrholztüren, die unpässlichen Schauspieler und auch nicht die störende Notlichtbeleuchtung oder die fehlenden finanziellen Mittel gemeint – obwohl, die schon! Nein, es geht um die Krise der Welt, und die ist im Theater nie der Ausnahme-, sondern immer und grundsätzlich der Normalzustand.
Michael Frayns geniale Komödie aus dem Jahre 1982 handelt davon, wie eine Theatergruppe ein Boulevardstück probiert und sich gegenseitig sabotiert und zerstört. In dieser Inszenierung freut sich kein Schauspieler, wenn einem Kollegen etwas gelingt. Das Stück interpretiert die Theaterkunst im ersten Akt als Welterschaffung, nur um diese Welt dann im letzten Akt zu zerstören. Wo könnte man dieses Stück besser inszenieren als im RambaZamba Theater? Wer immer schon einmal wissen wollte, was hinter der Bühne alles schiefgeht, während vorne die Vorstellung läuft, ist in dieser Inszenierung genau richtig.
Aufführungsrechte bei HARTMANN & STAUFFACHER GmbH Verlag für Bühne, Film, Funk und Fernsehen, Köln
PRESSESTIMMEN
Sieben Türen und viel Gelächter
(…) Schon länger nicht sah man die anarchische Kraft der RambaZamba-Crew so lustvoll durchbrechen und dabei auch noch so gekonnt in einem Handlungsbogen gerahmt sein wie bei dieser Inszenierung des Boulevard-Stücks „Der nackte Wahnsinn“. Michael Frayns punktgenaue Parodie des Alltags einer über die Provinz tingelnden Schauspieltruppe setzt Höhne mit feinem Gefühl fürs Timing in Szene. Vorweg platziert er noch eine kleine Posse. Seine Schauspieler tragen sieben mit Neonfarben bestrichene Türen und führen im Schwarzlicht einen Tanz vor. Der greift den Kampf um den Platz ganz vorn an der Rampe auf und erinnert zugleich wegen der geometrischen Formen unwillkürlich an Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“. Der Bezug ist eine Parodie, natürlich. Aber die Zeichen sind gesetzt, die Lachmuskeln angewärmt. Ein Kunststück von Buster-Keaton-hafter Präzision liefert dann Sebastian Urbanski – bekannt geworden als erster Mensch mit Downsyndrom, der im Bundestag sprach – ab. Er richtet mit Gaffaband und immer wieder verrutschendem Blatt mit der Aufschrift „Regie“ seinen Regiestuhl ein. Da sitzt jeder misslingende Griff. Ein Kleinkunstkleinod. Vom Regiestuhl aus wird Urbanski den ganzen Abend lang kommandieren, dirigieren, am Gesehenen verzweifeln und vor allem seine Lustmolch-Attacken vorbereiten. (…) Die sehr eigenen Ausdrucksformen der Spielerinnen und Spieler des RambaZamba-Ensembles verhelfen dem schrillen Personal dieser Theaterklamotte zu existentieller Wildheit. Höhne, der das von seinen Eltern gegründete Theater vor zwei Jahren übernommen hat, bewies mit der Stückauswahl Mut und mit der Inszenierung handwerkliches Können. Die Integration von externen Spielern – neben Mosbach ist noch Leo Solter als um Gleichgewicht ringender Pianist dabei – gelingt. Sie lassen sich vom komödiantischen Furor ihrer losgelassenen Ensemble-Kollegen sichtlich mitreißen. (…) Tom Mustroph, taz 15.4.2019
Eine Theatertruppe auf dem Weg in die Anarchie
So hat man Boulevard lange nicht gesehen: Das inklusive Theater RambaZamba spielt eine tolle Inszenierung von Michael Frayns „Der nackte Wahnsinn“.
(…) Frayn lässt seine abgerockte Tournee- Combo einen Schwank namens „Nackte Tatsachen“ probieren (das Stück im Stück), ganz offensichtlich eine grauenhafte Klipp-Klapp-Klamotte, die zum Inhalt nichts als Schlüpfrigkeiten und Sardinen hat. Regisseur Jacob Höhne macht daraus eine Performance, in der die Darstellerinnen und Darsteller im UV-Licht mit neongrellen Türen tanzen, wobei sie riesige Gipsmasken tragen, die aussehen wie griechische Antike auf LSD. Das Ganze in einem Bühnenbild (ebenfalls von Höhne), das im Wesentlichen aus einer sperrhölzernen Kulissenwand mit acht Türen besteht. Bleibt festzuhalten: so hat man Boulevard lange nicht gesehen. (…) Klar ist dieser „Nackte Wahnsinn“ auch ein großer selbstironischer Spaß. Die Abgründe des Theaterbetriebs mit seinen Pannen, Unpässlichkeiten und Animositäten, die werden sie auch am Theater RambaZamba kennen. Christian Behrend spielt famos einen unkontrollierbaren Trinker, Aaron Smith einen um Anerkennung ringenden Hauptdarsteller im Kleid („Was ist mit dem Text, Schätzchen, war er in etwa richtig?“), Franziska Kleinert eine donnernd-burschikose Intendantin, Hans-Harald den Techniker, dem das ganze Künstlergetue schwer gegen den Strich geht. Als Gast ist Matthias Moosbach (noch vom Berliner Ensemble vertraut) zu diesem All-Star-Team gestoßen, auch er in großer Form: als Kantinen-Schwadroneur, dem zu allem eine abgestandene Theater-Anekdote einfällt, Marke: „Ich hab auch mal in der Freien Szene gespielt, in Saarbrücken“. Großartig, wenn er sich im laufenden Tourneebetrieb – den Michael Frayns Stück im zweiten und dritten Akt ja unerbittlich seinen Gang nehmen lässt – hinter den Kulissen mit Joachim Neumann anlegt und voll überschießendem Dünkel ruft: „Dieser Mann ist Provinz!“ Leo Solter am Piano singt dazu das Lied vom Dramaturgen (was macht der eigentlich?), und ein entrückter Tanz mit Türen driftet in die unausweichliche Anarchie. Großes Theater eben. Patrick Wildermann, Tagesspiegel 12.5.2019




